Wenn ein Kind in diese Welt kommt, ist es noch ganz eingebettet in das große Ganze – wie ein Tropfen, der sich noch nicht vom Ozean getrennt hat. Es kennt keine Trennung, kein Ich und kein Du. Nur das Sein – durchströmt von Vertrauen, Wärme und Nähe.
Wenn wir geboren werden, ist die Verbindung zwischen unserer Seele und unserem Höheren Selbst, welches aus der Urquelle entspringt, noch sehr stark. Eine Identifikation mit Ego und Verstand hat noch nicht stattgefunden und das Kind erlebt sich noch als Eins mit der Mutter. Damit diese kostbare Verbindung nicht schon im frühsten Kindesalter gekappt und das Urvertrauen zerstört wird, halte ich es für immens wichtig, dass Kinder so lange wie möglich bei ihrer Mutter bleiben können, bevor sie in den Kindergarten oder die Schule gegeben werden.
Wird das Kind vor Vollendung des dritten Lebensjahres bereits von der Mutter getrennt, kann dies zu einem Verlust des Urvertrauens und zu gravierenden Bindungsstörungen im Verlauf des Lebens führen. Je länger Kinder bei Ihrer Mutter bleiben können, desto unerschütterlicher können das Vertrauen ins Leben, Selbstvertrauen und soziales Bindungsvermögen bleiben. Die Mutter ist deshalb so wichtig, weil sie das Kind und seine Seele in ihrem Leib empfangen und das Kind neun Monate ausgetragen hat.
Der Prozess der Identifikation mit dem Ich – welches auch als Persona, Rolle oder Charakter dieser Inkarnation bezeichnet werden kann – beginnt etwa ab 18 Monaten. Kleinkinder beginnen, sich selbst im Spiegel zu erkennen – eine Gabe, die überwiegend dem Menschen vorbehalten ist. Nur sehr wenige Tiere wie z. B. Delfine, bestimmte Menschenaffen oder Elefanten sind in der Lage, sich in einem Spiegel als sie selbst zu erkennen.
Wenn das Ego den Platz der Seele einnimmt – Über Identifikation und innere Leere
In der westlichen Welt wird vor allem die Entwicklung des Egos – mit all seinen Ausdrucksformen von Selbstdarstellung, Leistung und gesellschaftlichem Status – nicht nur gefördert, sondern regelrecht zelebriert. Zahlreiche kulturelle Narrative, insbesondere in der Werbung, spiegeln diese Ausrichtung wider. Slogans wie „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ suggerieren, welches Leben als erstrebenswert gilt und nach welchen Werten wir uns richten sollen. Wer in diesem Raster keinen akademischen Titel oder keine sichtbare Karriereposition vorzuweisen hat, wird nicht selten als weniger wertvoll oder erfolglos angesehen – ungeachtet innerer Reife, Empathie oder menschlicher Tiefe.
Ein solches Streben nach äußeren Symbolen kann besonders dann zum Lebensmotor werden, wenn in der frühen Kindheit essenzielle Bindungserfahrungen fehlten – wenn Urvertrauen, emotionale Sicherheit und authentisch gelebte Werte nicht vermittelt wurden. In der Folge wird das Ego nicht als gesunder Ausdruck des Selbst erlebt, sondern als Kompensation eines inneren Mangels. Es entsteht eine übermäßige Identifikation mit der äußeren Rolle, während das innere Wesen – das eigentliche Selbst – kaum noch wahrgenommen wird. Das Leben wird dann durch die Linse des Vergänglichen betrachtet, und das Ego erscheint als einzige Realität.
Zahlreiche Studien aus der Bindungsforschung belegen, wie entscheidend die Qualität der frühen Mutter-Kind-Beziehung für die seelische und emotionale Entwicklung eines Menschen ist. Eine stabile, liebevolle Bindung in den ersten Lebensjahren wirkt wie ein inneres Sicherheitsnetz, das in späteren Jahren Orientierung, Selbstvertrauen und Beziehungsfähigkeit trägt. Wird diese frühe Verbindung – insbesondere in den ersten drei Lebensjahren – durch institutionelle Betreuung oder emotionale Distanz unterbrochen, bevor das Kind selbstständig genug ist, solche Trennungen zu verarbeiten, kann dies die Entwicklung eines stabilen Vertrauens in sich selbst und die Umwelt erschweren. Betroffene Menschen neigen später nicht selten zu Bindungsangst, übermäßiger Leistungsorientierung oder einem diffusen Gefühl innerer Unruhe und Haltlosigkeit.
Gemeinschaft statt Isolation – Frühkindliche Bindung in anderen Kulturen
Ein Blick in andere Kulturen zeigt, dass der westliche Umgang mit Kleinkindern – insbesondere die frühe Fremdbetreuung – keineswegs universell ist. In vielen traditionellen Völkern – etwa bei indigenen Gemeinschaften, in Teilen Afrikas oder Asiens – ist es selbstverständlich, dass Kinder eng in den Familienverbund eingebettet bleiben. Dort wachsen sie nicht isoliert auf, sondern umgeben von Eltern, Geschwistern, Großeltern und einer erweiterten Sippe. Die Mutter ist meist die zentrale Bezugsperson, aber nicht die einzige Quelle emotionaler Sicherheit. Vielmehr entsteht ein ganzheitliches Netz aus Vertrautheit, Zuwendung und Gemeinschaft, das dem Kind nicht nur Schutz, sondern auch ein tiefes Gefühl von Zugehörigkeit vermittelt.
Kinder, die in solchen verbundenen Strukturen aufwachsen, entwickeln häufig ein starkes, unerschütterliches Selbstvertrauen – nicht als Folge individualistischer Abgrenzung, sondern aus dem tiefen Bewusstsein heraus, eingebettet und getragen zu sein. Dieses Urvertrauen, das aus einer lebendigen Beziehung zur Familie und zur Gemeinschaft entsteht, bildet eine seelische Grundlage, auf die sich auch im Erwachsenenalter zurückgreifen lässt. Es schützt vor Vereinsamung, vor Identitätsverlust und vor dem Gefühl, sich das eigene Dasein ständig neu beweisen zu müssen. In einer Welt, die zunehmend von Fragmentierung, Entwurzelung und Isolation geprägt ist, könnte das Wiederentdecken solch familiärer und seelischer Verbundenheit ein heilsamer Weg zurück zur inneren Ganzheit sein.
Wurzeln geben Flügel – Warum echte Bindung zur Freiheit führt
Kinder beginnen ganz von selbst, sich nach und nach von der Mutter zu lösen – in einem natürlichen, innerlich gesteuerten Rhythmus, der ihrer individuellen Seelen- und Persönlichkeitsstruktur entspricht. Sobald sie ausreichend innere Sicherheit entwickelt haben, erwacht ihre Neugier auf die Welt, auf das Andere, auf das Neue. Sie beginnen, ihre Umgebung zu erkunden, erste eigene Schritte zu machen – physisch wie seelisch. Dieser Prozess des „Abnabelns“ ist kein erzwungener Bruch, sondern ein leiser Übergang, der vom Kind selbst initiiert wird, wenn die Zeit reif ist.
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass ein längerer Verbleib in der mütterlichen Nähe oder im familiären Umfeld zu Abhängigkeit oder Unsicherheit führen würde. Im Gegenteil: Kinder, die in den ersten Lebensjahren Geborgenheit, emotionale Präsenz und liebevolle Verlässlichkeit erfahren haben, entwickeln oft ein tiefes Urvertrauen in sich selbst und in das Leben. Sie treten später mit größerer innerer Klarheit, Selbstvertrauen und Beziehungsfähigkeit in die Welt hinaus – nicht trotz, sondern gerade wegen der stabilen Bindung, aus der heraus sie gewachsen sind.
Solche Menschen müssen sich nicht ständig beweisen, um ihren Wert zu spüren – sie wissen intuitiv, dass sie getragen sind. Sie gehen ihren Weg eigenständig, aber nicht entwurzelt. Sie haben einen inneren Anker – das Bewusstsein, Teil eines tragfähigen familiären und seelischen Gefüges zu sein, das ihnen auch in schwierigen Zeiten Halt und Orientierung gibt.
Die Rückkehr zur inneren Verbundenheit beginnt oft mit dem Erinnern an das, was einst selbstverständlich war: die liebevolle Nähe, die nicht bewertet, das Vertrauen, das nicht verdient werden musste. Dort liegt der Schlüssel – nicht nur zu einer gesunden Psyche, sondern auch zu einem Leben, das wieder im Einklang mit Seele, Menschlichkeit und dem natürlichen Rhythmus des Lebens schwingt.
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C.G. Jung (Tiefenpsychologe, Mystiker, Archetypen-Forscher):
„Was nicht ins Bewusstsein gebracht wird, erscheint im Leben als Schicksal.“
Daisaku Ikeda (buddhistischer Philosoph, Friedensdenker):
„Das größte Geschenk, das wir einem Kind machen können, ist, ihm zu zeigen, dass es bedingungslos geliebt wird.“
Jean Liedloff (Anthropologin, Autorin von Auf der Suche nach dem verlorenen Glück):
„Ein Kind, das sich als Zentrum einer liebevollen, tragenden Welt erlebt, wird ganz von selbst zu einem offenen, freien und sozialen Menschen.“